Text "O-o Pazifisten"

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O-o Pazifisten

Und sie sagen immer nur, wie naiv das ist,
und dass die Wirklichkeit alle Träume frisst,
weil die Welt nun mal so ist, wie sie ist.
Doch Entschuldigung – gibt es das nicht auch:
der Mensch als Pazifist?
Ja: O – o Pazifisten!


1. Er spielt auf dem Klavier in der zerbombten Stadt,
in Damaskus, voll Trümmer und Müll.
Er weiß, dass er vielleicht keine Zukunft hat.
Doch er weiß auch, dass er jetzt hier spielen will.
        Hört die Schüsse, die knallen,
        Bomben, die fallen –
        und er weiß, Töne werden die nicht stör’n.
        Doch der Spielmann, er singt,
        und in dem Lied, das erklingt,
        kann man jetzt schon den Pulsschlag des Friedens hör’n.

Und dann hör ich wieder nur, wie naiv das ist,
und dass die Wirklichkeit alle Träume frisst,
weil die Welt nun mal so ist, wie sie ist.
Doch Entschuldigung – ihr seht, das gibt es auch:
der Mensch als Pazifist.
O – o Pazifisten!


2. Sie fährt in jedem Sommer nach Wolgograd
zu dem Heim für demenzkranke Frauen,
das sie mit Alina begründet hat
als Hoffnungsprojekt nach dem Grauen.
        In einem der Krater
        am Fluss starb ihr Vater.
        Die Stadt hieß da noch Stalingrad.
        Die Deutsche versteht,
        wie’s den Russen hier geht,
        und dankt Gott, dass sie jetzt hier Freunde hat.

Und dann hör ich wieder nur, wie naiv das ist,
und vor der Wirklichkeit, die die Träume frisst,
weil der Mensch nun mal so ist, wie sie ist.
Doch Entschuldigung – ihr seht, das gibt es auch:
der Mensch als Pazifist.
O – o Pazifisten!


3. Der Dichter, der leise Geschichten schreibt
von dem, was ein Krieg mit uns macht.
Der Deserteur, der im Kampf nicht bleibt,
lieber flieht in die Fremde bei Nacht.
        Die einlädt seit Jahren,
        mit ihr nach Auschwitz zu fahren,
        wo sie die Familie verlor.
        Die auf Straßen sich kleben
        als Weckruf fürs Leben –
        Ohnmacht, die Stärke wird, führ’n sie uns vor.

Und dann hör ich wieder nur, wie naiv das ist,
und dass die Wirklichkeit alle Träume frisst,
weil die Welt nun mal so ist, wie sie ist.
Doch Entschuldigung – ihr seht, das gibt es auch:
der Mensch als Pazifist.
O – o Pazifisten!




T+M: Wolfram Behmenburg (2023)



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